Des
Abends spazieren wir die Avenida da Liberdade hinunter zum
Rossio-Bahnhof,
der um 1890 im neomanuelischen Stil mit zwei hufeisenförmigen
Portalen erbaut wurde. Für die Züge nach Sintra hat man sich
drei Stockwerke hinauf zu begeben! Unweit des Rossio kommt uns
ein unkenntlich entstellter Mann entgegen, dessen
Gesicht wie ein Hahnenkammgewächs von mehreren
Fleischschichten überwuchert ist. Ein Leprakranker
aus den ehemaligen Kolonialgebieten Portugals? Schon
am nächsten Tag begegnet mir in Lissabon eine weitere
Person mit einer ähnlichen Geschwulst.
In der
Unterstadt Baixa, nahe beim Hafen, lassen wir uns in einem
Straßencafé bei einem Ice-Tea und dem von Philipp Winter
geschätzten „Super-Bock”-Bier nieder. An einem der
Nachbartische amüsieren sich einige wohlsituierte
Portugiesen mit einem Schwarzafrikaner und halten zuletzt eine
Feuerzeugflamme an eine seiner Skulpturen aus
Elfenbein-Imitat. Empört beklagt sich der Mann hinterher bei
einem Kollegen. Ein Treffpunkt vieler Schwarzer ist
die an den Rossio-Platz östlich angrenzende alte
maurische Mouraria,
das ehemalige Refugium oder Ghetto der von den
Christen geschlagenen Araber. Sie wird von
etlichen Fischrestaurants gesäumt. Was da auf den Tellern
zu sehen ist, ließe sich in den wenigen Tagen, über
die wir verfügen, nicht einmal anstudieren! Wir
bevorzugen deshalb für heute ein kleines Abendessen
in einer Art Pastetenbäckerei. Und lassen
uns wie an den folgenden Abenden noch längere Zeit auf dem
Balkon unseres Hotelzimmers nieder. Die tieffliegenden
Wolken streifen beinahe die Häuser des
Quartiers; in dem Häuserblock gegenüber macht sich
nach Anbruch der Dämmerung ein altes Ehepaar
gemächlich bettfertig.