Fr. 12.9.:
Von
Helsinki aus fahren wir zunächst in östlicher Richtung bis hinter
Espoo weiter und biegen dort auf die alte schwedische
Königsstraße südlich gen EKENÄS/TAMMISAARI
ein. Bei der Ausschilderung dieser Stadt steht diesmal der
schwedische Name an erster Stelle, ist sie doch die größte
finnische mit der Erstsprache Schwedisch, nämlich für
über 80 Prozent der Einwohner. Daß sich im Altstadtviertel
„Barckens udde” noch hunderte von Holzhäusern aus dem
19. Jh. erhalten haben, erklärt sich auch aus dem ungewöhnlich
milden Osteeklima dieser „Eichenhalbinsel”
oder besser Landzunge („udde”), der ein großer
Schärengarten vorgelagert ist. –
Unterhalb der Holzkirche entdecken wir einen Pranger, der
bis ungefähr 1840 in Gebrauch war. In dem kleinen Stadion am
Rande der Altstadt sind soeben Kinder im Alter von ungefähr
vier bis fünfzehn beim (Vor-)Schulsport zugange.
Ausgestattet sind die Kleinen mit so noch nicht
gesehene winzigen Hürden und ebenso lustigen, großen
dartpfeilähnlichen Kunststoff-Speeren, an
denen sich soeben die Jüngsten üben. Doch werden wir dann
Zeuge eines hier nicht vermuteten pädagogischen
Exzesses, als ein nicht so lauffreudiger 14jähriger,
der kurz vor der Ziellinie abstoppte, minutenlang
in der Öffentlichkeit von seinem Sportlehrer
zusammengestaucht wird.
An
diese neuerliche Prangerszene mußte ich sogleich denken, als Tage
nach unserem Heimflug von dem erneuten Amoklauf
(nach 2006) eines finnischen Schülers berichtet wird. Dies also
in dem Land, das sich in den PISA-Studien seit Jahren als so
mustergültig ausnimmt! Angeblich liegen solche
Bluttaten nur an einer bislang allzu laschen
Waffengesetzgebung und an lokaler
polizeilicher Fehleinschätzung, doch dürfte da ein
verdeckter Zusammenhang mit der soeben
beobachteten abstoßenden Disziplinierung
bestehen. Schon im relativ dichtbesiedelten Süd-Ost-Finnland
wohnen viele Familien außerhalb der Großstädte weit
verstreut, werden im Schulbus heran- und zurückgefahren und
kommen erst an den hier meist dunklen Nachmittagen
oder schon Abenden von ihren Gesamtschulen heim;
manche Schulen schließen erst um 20 Uhr ihre Pforten. Man kann sich
leicht vorstellen, was ein solch permanenter, kaum mehr
ganz aus dem Kopf zu schlagender Schulunterricht in
der Seele eines Schülers anrichten muß, der mit
bestimmten Lehrern überhaupt nicht klarkommt. Bislang
hörte man nur einseitig davon, daß viele
finnische Schüler an dem stark auf ihre
Persönlichkeit zugeschnittenen Unterricht weit länger als
überhaupt möglich teilnehmen wollen.
Der
spektakuläre finnische Schulerfolg verdankt sich gewiß nicht
zuletzt dem Umstand, daß dieses Land wie kein zweites in der EU
nur wenige Migranten und Flüchtlinge außerhalb des
verwandten skandinavischen Raumes aufgenommen hat. Zudem
erhalten die wenigen fremdländischen Kinder
schon in der Vorschule 20 Wochenstunden Sprachunterricht
in Finnisch (was wir für Deutsch dummerweise immer
noch nicht hinbekommen haben). So ist schon wegen der extrem
günstigen muttersprachlichen Ausgangslage
mit entsprechendem Problemverständnis für die
PISA-Aufgaben eigentlich keine faire Vergleichsbasis mit Ländern
wie Deutschland gegeben. In dieser Hinsicht ist Finnlands
Situation allenfalls mit der privilegierten Englands oder
Frankreichs zu vergleichen, deren Zuwanderer aus den
Ex- Kolonialgebieten meist gut Englisch oder Französisch
sprechen.
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