Versäumte
ich im ersten Halbjahr der Oberprima laut Herbstzeugnis 95 Stunden,
also durchschnittlich einen Tag in der Woche, so steigerte ich
mich im zweiten Halbjahr erheblich und fehlte noch in den letzten
Wochen vor dem Schriftlichen Abitur laut Tagebuch mindestens an
acht Unterrichtstagen. Insofern diese Abstinenz auch eine Form der
Selbstbehauptung war, wäre es unsinnig, all die versäumten
Möglichkeiten zu beklagen, vor allem die Lücken in den
mathematisch-naturwissenschaftlichen
Fächern, die in der Regel schon auf den Mittel- und
Unterstufenschüler zurückgingen. Damals konnte ich mich allein
durch Schweigen und Arbeitsverweigerung gewissen Paukern
entziehen. Wenn ich vor deren konkreten Anforderungen
versagte und sicherlich auch einige andere Lehrer durch
mein Desinteresse enttäuschte, dann versagten sie darin, daß sie
mir so fundamentale, bei „Studienräten”
eigentlich zu erwartende Einstellungen wie die Freude am Erkennen und
an einem problembewußten Lernen über Jahre
hin nicht beizubringen verstanden.
Weit krasser versagten sie
vor den vielen anderen, die oft noch ungünstigere
Ausgangsbedingungen hatten und deren Eliminierung ich
seit dem Übergang zum Gymnasium als ungerecht und brutal empfand.
Wie nur konnten uns diese Pädagogen derart
ausdauernd und ohne Widerspruch, Jahr für Jahr,
sitzenbleiben lassen und so erfolgreich von der Schule fortekeln, daß
aus meiner „Sexta a” nur ein einziger den direkten Weg bis
zum Abitur schaffte, das heißt ohne sitzengeblieben oder auf ein
anderes Gymnasium gewechselt zu sein? Gewiß, die meisten
dieser Lehrer waren während der Naziherrschaft ausgebildet
worden, aber ebenso die Ausnahmen wie Herr v. d. L.,
„Charly” (geb. 1912) und „Egon” (geb. 1915), die uns
respektierten, auch den vermeintlich
schwächeren Schülern ihre Aufmerksamkeit schenkten und
uns so im Innersten förderten, auch wenn sie selbst von so
mancher Entwicklung abgeschnitten zu sein schienen, die für
uns in der Oberstufe relevant wurde (die Existenzphilosophie
etwa oder Surrealismus, Psychoanalyse und Kritische Theorie).
Ihre persönliche Freundlichkeit war sachgerecht, brachte
uns ihr Fach pädagogisch nahe, während jene schlagenden,
sadistischen oder nur unerbittlich strengen Lehrer sich hinter
ihrem Fach versteckten, indem sie so taten, als wäre es dessen
eiserne Disziplin, die sie uns zu spüren gaben. Unglückliche
Existenzen, die ihren Beruf verfehlt hatten und trotz ihres
Doktortitels, den sie auffallend öfter als die wirklichen
Pädagogen führten, keine tieferen
Erfahrungen mit Wissenschaft und Forschung gemacht haben konnten,
wären sie sonst doch nicht so kleinlich auf mechanische
Reproduktionsleistungen aus gewesen.