Quelle: ‘Festschrift zum 100-jährigen Jubiläum des Freiherr-vom-Stein-Gymnasiums’ (Oberhausen 2005, S. 26)
Obgleich
ich in der Oberstufe an manchem Unterrichtsfach und -thema Geschmack
finde, langweilt mich vieles wie eh und je oder stößt mich als
Überbleibsel aus der Zeit des Paukunterrichts ab. Wie in den
Deutschaufsätzen meine Bemühung, die Sache in
möglichst präziser Formulierung zu durchdringen, wegen des enormen
Zeitaufwandes zu einem neuen Handicap wird, so ist mir
der mündliche Unterricht weithin dadurch verleidet, daß er zu
kurzatmig und zu fremdbestimmt ist, um ein begründetes
eigenes Urteil zustande zu bringen. Sobald wie in der anfangs
interessanten „Deutsch-AG” von Dr. S. sich so etwas wie ein
Pensum oder ein Schema der Fragestellung und Beantwortung
abzeichnet, verliere ich die Lust daran und
stelle meine Mitarbeit ein. Mit Ausnahme von so
faszinierenden Stücken wie Wilders ‚Our Town’ oder
‚Macbeth’ arbeite ich darum kaum einmal ein Textheft
durch und muß mir die Lücken immer wieder durch Intuition
und Kombination ergänzen.
Immer
öfter bleibe ich dem Unterricht fern, suche in den letzten Stunden
die Sterkrader „Spielhölle” auf oder fahre schon frühmorgens
mit dem Zug nach Oberhausen, um den Vormittag in der Stadtbücherei
oder lesend und schreibend in einem Café zu verbringen. Hier
versuche ich mich an kleinen philosophischen Fragestellungen und
komplettiere auch mein Tagebuch. Durch gelegentlich mißtrauische und
ironische Bemerkungen meiner Lehrer über solche
Selbstbeurlaubungen lasse ich mich
nicht beirren, diese Absenz gehört ebenso wie mein Engagement im
Philosophieunterricht zu meiner
Emanzipation vom Schülerdasein.
Und nicht minder, daß ich nach Möglichkeit unsere
Klassenarbeiten in den Fächern Englisch
und Französisch versäume, da sie mir eine verhaßte
Arbeitsleistung abfordern: Es ist das Nacherzählen
von längeren Texten, die uns zweimal verlesen
werden und die wir dann so getreu wie möglich niederschreiben
sollen; Zusatzfragen zur Textauslegung bleiben
bis zuletzt zweitrangig.
Eigentlich
unverständlich, daß an einer Schule, die sich als elitär verstand
und uns primär zu einem wissenschaftlichen Studium
hinführen wollte, bis zum schriftlichen Abitur ein solcher
Wert auf untergeordnete reproduzierende Leistungen
gelegt wurde.
Enthielten die landesweiten Prüfungsrichtlinien fürs
Schriftliche Abitur wirklich keine Alternativen? Dabei waren wir
in der Textinterpretation und auch in
Diskussionsformen, die sich aus
den „Besinnungsaufsätzen” entwickelt hatten, schon recht
versiert. Sie blieben aber mit Ausnahme des Faches Deutsch dem
mündlichen Unterricht vorbehalten.
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