Home
Impressum
Ruth Fleigs Galerie
Schulkinder malen
Kritzel-Kratzel
Horst Fleigs Texte
I  Philosophica
II  Reiseberichte
III Zu Wim Wenders
IV Film und Kindheit
V Mitschüler/Schulen
Alt-Walsum 1951-53
OB-Holten 1953-55
OB-Sterkrade 1955-65
Unterstufe H.F. 1-27
Mittel-u.Oberstufe
Gymn. Links u. Fotos




„Anzeigen” in der ‘Bierzeitung’ zur Mittleren Reife (1962)



uns beiden zum Verhängnis wird. Das eine oder andere Mal kann ich gar meinen Helfer noch recht­zeitig auf einen solchen Feh­ler aufmerksam machen. Bei englischen und französischen Nacherzählungen versteht es sich von selbst, daß ich be­stimm­te Si­tu­a­ti­o­nen oder Beschreibungen, die mein Nachbar detaillierter in Erinnerung behalten hat, in ei­ge­ner For­mu­lie­rung vor­tra­ge. Mein Helfer soll nichts riskieren. So ist denn auch seine Mithilfe eher passiver Natur, indem er ein Blatt sei­ner Rein­schrift oder seines Konzepts lediglich so ablegt, daß ich es einige Zeit lang einsehen kann. Meist ist es nur ein Teil der Ar­beit, aber das ge­nügt schon, um eine ausreichende Note zu erhalten oder mich bloß zu vergewissern, daß auch er ei­ne ob­sku­re Stel­le so ähnlich wie ich aufgefaßt hat. Alles läuft denkbar diskret ab, nichts wird von Hand zu Hand ge­ge­ben, kei­ne Re­sul­ta­te werden zugeflüstert, allenfalls mache ich einmal leise auf eine bestimmte Aufgabe oder Zu­satz­fra­ge auf­merk­sam. Aber nur ja nicht hei­schend oder flehentlich, wie ich es bei manch anderem beobachten konnte.

So war selbst dieses Delikt, das in der Mittelstufe schätzungsweise von einem Drittel der Schüler permanent begangen und uns von ei­ni­gen Leh­rern als ab­scheuliches Vergehen hingestellt wurde, durch ein Ethos der Rücksichtnahme und Selbstachtung überformt. Auch ging mir im Lauf der Schul­zeit auf, daß wir mit unseren individuellen Betrugsmanövern den größeren institutionellen Betrug wett­zu­ma­chen hat­ten, der darin bestand, daß andere Schüler systematisch von Eltern und bezahlten Helfern, unter denen sich Stu­di­en­rä­te aus der ei­ge­nen Klasse befanden, nach Kräften gefördert wurden, während unsereins, nicht einmal mit allen Büchern ver­se­hen und aus­drück­lich nur auf Widerruf an einer höheren Schule, sich allein durchzuschlagen hatte. Was vor allem deshalb so schwer­fiel, weil uns an die­sem Gym­na­si­um der Sinn fürs Lernen nicht geweckt wurde und so lange, ungefähr bis zur „Mittleren Rei­fe“, über tau­sen­de von Un­ter­richts­stun­den hin, beinahe nur das stumpfe versklavende „Pauken” oder Auswendiglernen galt. Al­so bloß kei­ne Ge­wis­sens­bis­se Jahrzehnte später! Wir betrogenen Betrüger waren vielmehr tüchtige Pragmatiker und borgten uns das Nö­ti­ge von Bank­nach­barn, die ja ih­rer­seits von unserem Schulsystem, das solche Begünstigungen und Benachteiligungen för­der­te, recht gut pro­fi­tiert hat­ten.

 

Im Frühjahr 1962 erhalten wir die mit dem Abschluß der Untersekunda verbundene, keine spezielle Prüfung erfordernde „Mitt­le­re Rei­fe”. Mit ihr verläßt uns ein Großteil der Mitschüler; einige wechseln auf ein anderes Gymnasium über, die mei­sten aber er­ler­nen ei­nen Beruf.

Zu den letzteren sollte auch ich gehören und machte auf Geheiß meiner Eltern bei Thyssen in Duisburg-Hamborn einen Eig­nungs­test als „Industriekaufmann” mit. Bei der Schlußbesprechung wurde ihnen jedoch geraten, mich besser bis zum Abitur wei­ter­ma­chen zu lassen, da ich eigentlich ein ganz passables Zeugnis hätte. Wer weiß, was man bei diesem Test glaubte her­aus­ge­funden zu ha­ben, ich jedenfalls spielte dabei von einem bestimmten Moment an nicht mehr recht mit.


- 35 -

ZurückWeiter
Top
http://www.fleig-fleig.de/