uns
beiden zum Verhängnis wird. Das eine oder andere Mal kann ich gar
meinen Helfer noch rechtzeitig auf einen solchen Fehler
aufmerksam machen. Bei englischen und französischen Nacherzählungen
versteht es sich von selbst, daß ich bestimmte
Situationen oder Beschreibungen, die mein
Nachbar detaillierter in Erinnerung behalten hat, in eigener
Formulierung vortrage. Mein Helfer soll
nichts riskieren. So ist denn auch seine Mithilfe eher passiver
Natur, indem er ein Blatt seiner Reinschrift oder seines
Konzepts lediglich so ablegt, daß ich es einige Zeit lang einsehen
kann. Meist ist es nur ein Teil der Arbeit, aber das genügt
schon, um eine ausreichende Note zu erhalten oder mich bloß zu
vergewissern, daß auch er eine obskure Stelle so
ähnlich wie ich aufgefaßt hat. Alles läuft denkbar diskret ab,
nichts wird von Hand zu Hand gegeben, keine
Resultate werden zugeflüstert, allenfalls mache ich
einmal leise auf eine bestimmte Aufgabe oder Zusatzfrage
aufmerksam. Aber nur ja nicht heischend oder
flehentlich, wie ich es bei manch anderem beobachten konnte.
So war selbst
dieses Delikt, das in der Mittelstufe schätzungsweise von einem
Drittel der Schüler permanent begangen und uns von einigen
Lehrern als abscheuliches Vergehen hingestellt wurde, durch
ein Ethos der Rücksichtnahme und Selbstachtung überformt. Auch ging
mir im Lauf der Schulzeit auf, daß wir mit unseren
individuellen Betrugsmanövern den größeren institutionellen Betrug
wettzumachen hatten, der darin bestand, daß
andere Schüler systematisch von Eltern und bezahlten Helfern, unter
denen sich Studienräte aus der eigenen
Klasse befanden, nach Kräften gefördert wurden, während unsereins,
nicht einmal mit allen Büchern versehen und ausdrücklich
nur auf Widerruf an einer höheren Schule, sich allein
durchzuschlagen hatte. Was vor allem deshalb so schwerfiel, weil
uns an diesem Gymnasium der Sinn fürs Lernen
nicht geweckt wurde und so lange, ungefähr bis zur „Mittleren
Reife“, über tausende von Unterrichtsstunden
hin, beinahe nur das stumpfe versklavende „Pauken” oder
Auswendiglernen galt. Also bloß keine Gewissensbisse
Jahrzehnte später! Wir betrogenen Betrüger waren vielmehr tüchtige
Pragmatiker und borgten uns das Nötige von Banknachbarn,
die ja ihrerseits von unserem Schulsystem, das solche
Begünstigungen und Benachteiligungen förderte, recht gut
profitiert hatten.
Im
Frühjahr 1962 erhalten wir die mit dem Abschluß der Untersekunda
verbundene, keine spezielle Prüfung erfordernde „Mittlere
Reife”.
Mit ihr verläßt uns ein Großteil der Mitschüler; einige wechseln
auf ein anderes Gymnasium über, die meisten aber erlernen
einen Beruf.
Zu den
letzteren sollte auch ich gehören und machte auf Geheiß meiner
Eltern bei Thyssen in Duisburg-Hamborn einen Eignungstest
als „Industriekaufmann” mit. Bei der Schlußbesprechung wurde
ihnen jedoch geraten, mich besser bis zum Abitur weitermachen
zu lassen, da ich eigentlich ein ganz passables Zeugnis hätte. Wer
weiß, was man bei diesem Test glaubte herausgefunden
zu haben, ich jedenfalls spielte dabei von einem bestimmten
Moment an nicht mehr recht mit.
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