Monate
vor dem Abitur tritt auch „Trapper” nach Jahren wieder auf dem
Schulhof an mich heran und fragt mich wie verschwörerisch:
„Was ist der Mensch?” Ich will es ihm zeigen und antworte mit
einer Definition Sartres: „Eine Marmelade.” Er, verdutzt:
„Wie?” Ich: „Ein ‚Zoon politikon’”. Und was denn dies
bedeute? Ich, bei meiner ‚Marmelade’ bleibend,
übersetze Aristoteles’ Wort entsprechend: „Ein
Gesellschaftstier”. Er: „Ja, ein gesellschaftliches
Lebewesen. Denke immer daran!” Oder so ähnlich. Und
sogleich stürzt er wieder davon.
Worauf wollte
er mit diesem Appell hinaus? Laut Tagebuch vermutete
ich, daß er meinen Lebenslauf, den ich fürs Abitur
abzufassen hatte, soeben gelesen hätte. In
seinem Aufbau ist er mir nicht mehr erinnerlich, doch
dürfte ich darin meinen Studienwunsch
„Philosophie” und mich außerdem noch zu meinem
damaligen Credo eines den Menschen bestimmenden,
im letzten antisozialen ,Egotismus’
bekannt haben.
*
In der
Mittelstufe wird kaum noch ein Schüler geschlagen. Es gibt da
freilich, wie zuletzt bei „Trapper” gesehen, noch
andere Mittel, um jemandem zuzusetzen oder ihn zu
demoralisieren. Ungefähr ein Jahr vor der „Mittleren
Reife” pflegen wird nicht mehr geduzt zu werden. Die
neu an unser Gymnasium kommenden Lehrer, in der Regel
jüngere Studienassessoren, siezen uns
früher als die anderen, die noch unterschiedlich lange in
der vertrauten Anredeform weitermachen und
mitunter wieder in sie zurückfallen: „Charly”
entschlüpft das „Du” eher bei der Erörterung
nichtschulischer Angelegenheiten
oder zur Aufmunterung („Sag auch mal was Nettes!”), während
es „Egon” im Zorn oder in der Verzweiflung
herausfährt. Bei einigen wirkt das „Sie” aufgesetzt,
als befolgten sie bloß eine Anordnung, ohne Überzeugung
und ohne den verheißenen neuen Respekt. Bei den
wenigen, die uns fortgesetzt duzen, sind ebenfalls
unterschiedliche Einstellungen
herauszuhören. Kameradschaftlich
klingt das „Du” unseres alten Musiklehrers N., wie
ich es schon in der Unterstufe empfand, wenn er
die älteren Schüler unseres „Chores” so ansprach; und ähnlich,
doch mit der Nuance von Schicksalsgenossenschaft,
aus dem Munde unserer Sportlehrer, die, wie mir scheint, von den
meisten Studienräten nicht für voll
genommen werden. Während ich das Duzen bei unserem Lateinlehrer
„Trapper” als freches Gewohnheitsrecht
auffasse, hat es bei „Piefkes” erstaunter Frage
(„So weit bist du schon?”) für mich im nachhinein
auszeichnenden Charakter, den meiner
endgültigen Aufnahme in „seine” Klasse.
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