Unser
„Direx” hat mich nie unterrichtet. Mag sein, daß er ein- oder
zweimal eine Vertretungsstunde bei uns gab, doch wechselte ich
meines Wissens in all den Jahren kein Wort mit ihm und
hatte auch nicht das Gefühl, daß er von meiner Existenz gewußt
hätte. Ich selber weiß wenig über ihn. Nach der Schulanmeldung
erzählt mir Mutter, daß der Direktor noch recht jung und neu an
diese Schule gekommen sei. Nur selten bekomme ich ihn
dann zu Gesicht. Meist scheint er sich in dem hinter unserem
„Sekretariat” gelegenen Zimmer
aufzuhalten und ist nur gelegentlich beim mittäglichen
Verlassen des Schulgebäudes zu erblicken.
Grußlos eilt er vorüber und hält nur an, um einen von uns, den er
in einer Flurecke beim Spielen überrascht, knapp
und scharf zu tadeln. Von Zeit zu Zeit droht ein
aufgebrachter Lehrer, den Störenfried beim
nächsten Mal zum Direktor zu schicken, läßt es dann aber
lieber bleiben. Dr. L. wohnt in einem Neubau gleich
bei der kleinen Kirche, in der unser evangelischer
Schulgottesdienst stattfindet. Regelmäßig
sitzt er dort in der ersten Reihe und hält bei einer Gelegenheit
sogar die Predigt. Oder ist es nur eine Ansprache
von der Kanzel herab?
Der unser
Anstalt prägende religiöse Hintergrund ging mir erst in der
Mittel- und Oberstufe auf. So an der parteiischen
Textauswahl eines Englischlehrers, der einer katholischen
Verbindung angehörte, einem Mitschüler ernstlich mit
dem „Index” der verbotenen Bücher kam und sich eine Zeitlang als
Zensor alias „Beratungslehrer” unserer
Schülerzeitschrift betätigen konnte. Auch sah ich zu meinem
Befremden, daß einige katholische
Mitschüler noch in der Oberstufe sich mit dem
Aschermittwochskreuz auf der Stirn zum Unterricht
einfanden. Den pädagogischen Werdegang
unseres protestantischen Direktors skizzierte einer meiner
Mitschüler in unserer Schülerzeitschrift
(Nr. 1/1962) wie folgt: Das Abitur habe „unser ‚Chef’”, in
dessen schlesischer Familie der Lehrerberuf
schon seit sechs Generationen ausgeübt werde, als noch
17jähriger gemacht; nach seiner
„pädagogischen Prüfung” 1938 sei er
Internatslehrer geworden und im selben Jahr, mit 27, „Lehrer
und Erzieher an der traditionsreichen
Klosterschule in Roßleben” (unweit Weimar). „Aus der
Klosterschule ... in der er acht Jahre lebte, hat unser
Direktor
seine Einstellung
zur SMV <"Schülermitverwaltung”>
mitgebracht ... Ohne sie wäre das
Internatsleben kaum denkbar gewesen. Sie arbeitete gut mit der