Quellen: ‘Festschrift zum 100-jährigen Jubiläum des Freiherr-vom-Stein-Gymnasiums’ (Oberhausen 2005, S. 48)
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MUSIK
Bis
zur Mittelstufe ist Herr N. unser Musiklehrer. Wie in „Kunst” und
„Sport” geht es hier wohltuend entspannter und mit den Jahren
immer lässiger als im übrigen Unterricht zu.
Dafür aber werden diese Fächer nicht recht ernstgenommen,
wenn über die Versetzung eines gefährdeten Schülers
entschieden wird. Dieser Lehrer ist in meinem Erinnerungsbild
vielleicht Mitte dreißig, läßt sein dunkles Haar in die Stirn
hängen und raucht in den Pausen Zigarillos.
Uns jüngere Schüler spricht er freundschaftlich
und die älteren durchweg kumpelhaft an, wird aber sogleich
energisch, wenn er sich als Dirigent mal diesen, mal
jenen Teil des Schulchors vornimmt. Vermutlich schon in der
Sexta prüft und verpflichtet er mich für den
„Chor”: In einer Unterrichtsstunde läßt er
einen Schüler nach dem anderen auf dem Klavier
vorgespielte Notenabfolgen nachsingen; ich gebe
mein Bestes, werde daraufhin als „Sopran” eingestuft
und habe von nun an, ohne daß ich mich dazu bereit
erklärt hätte, an den Chorproben teilzunehmen,
die einmal wöchentlich in einer angehängten
Schulstunde stattfinden.
Zwischen
den Proben läßt er uns manchmal ein erheiterndes
Liedchen singen, so die Parodie: „Wem Gott will rechte
Gunst erweisen/Den schickt er in die Wurstfabrik,/Und läßt
ihn in 'ne Knackwurst beißen ...”. Amüsant finde ich auch
Mozarts „Lieber Freistädtler, lieber Gauli-Mauli”
sowie das alte Soldatenlied „Wir kamen vor
Friaul,/Da hatten wir allesamt voll das
Maul,/Strampedemi .../Allah gib Prozente/ Und zehn Jahr
Garantie” <letzteres war wohl eine
zusätzliche schülerinterne Parodie>.
Oder er läßt uns nach Art eines Zapfenstreichs absingen:
„Soldaten müssen zu Bette gehn./ Und nicht
so lange mit den Mädchen stehn./ Zu Bett, zu Bett, zu Bett.”
Gelegentlich erzählt er uns von seiner Soldatenzeit
an der Ostfront, doch sind mir diese eher lustigen
Episoden entfallen. Saß er nicht in Panzern oder
Flugzeugen, gar wie mein Vater als Funker?
Überhaupt hat
er mich jetzt einige Male von fern an meinen Vater erinnert.
Es dürfte vor allem an seinem gebrochenen
Verhaltensstil liegen, an der jovialen
und beinahe distanzlosen Art, in der er sich mit uns
unterhielt, um schlagartig wieder die straffe
kommandierende Haltung des Dirigenten einzunehmen.
Übrigens verteilte auch er Ohrfeigen, doch
relativ selten und so, daß ich es akzeptieren
konnte.
Als
Chorleiter studiert unser Musiklehrer in der Sexta oder Quinta
monatelang mit uns den ‚Struwwelpeter’-Zyklus
ein, aus dem ich noch die Kernstellen so ziemlich
aller Episoden hersingen kann. Unser mit ihm befreundeter
Kunstlehrer arbeitet derweil im Hintergrund des
Zeichensaals an einem mehrere Meter hohen Ölgemälde
des Struwwelpeters, das dann bei den zwei oder drei
Aufführungen, die wir zur Weihnachtszeit unter anderem in einem
Altersheim geben, aufgestellt wird.
Eines
Tages begeben wir uns zu einem nahgelegenen Friedhof und singen
bei der Beerdigung eines Mitschülers. Es ist sicherlich
jener Schüler, dessen frühen Tod unser Deutschlehrer
L. so beklagt hatte. Bei den Abitursfeiern tragen
wir außer dem „Geleit”-Lied auch wiederholt
den Chor „Wacht auf!” <aus den ‚Meistersingern’>
vor. Wir haben uns dazu im Musiksaal aufgestellt,
dessen hintere Schiebewand zur danebenliegenden
Turnhalle hin geöffnet ist. Drunten sitzen sie
in langen und breiten Stuhlreihen; Kübel mit
Lorbeerbäumchen(?) stehen neben dem
Podium, an dem der Direktor, Elternvertreter
und einer der Abiturienten Ansprachen
halten.
Der
mir bis zur Oberprima drohende „Chor”-Besuch wird mir immer
lästiger. Ihn einfach zu schwänzen, geht nicht, da dieser
Musiklehrer unsere Anwesenheit jedesmal überprüft.
Doch irgendwie schaffe ich es endlich, davon
freizukommen, habe aber einige Zeit danach arge
Befürchtungen, in Musik noch nachträglich geprüft zu
werden, da ich nun auch dem regulären
Unterricht oft ferngeblieben war.
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