Als
Dr. Siebert Jahre später einmal als Vertretungslehrer in Erdkunde
einspringt, erstaunt er mich durch offenbar
improvisierte Fragen und Bemerkungen,
die auf die Grundlagen dieses Faches abzielen und von
anderen Erdkundelehrern so noch nie zu hören
waren.
In
seinen letzten Jahren soll er an
einer Hochschule
unterrichtet haben. Vielleicht fühlte er sich dort eher an
seinem Platz als bei uns Knaben. Für den einen oder
anderen von uns aber war seine geistige Erscheinung
wirklich unschätzbar und dürfte mir erste Impulse zu meinem
Philosophiestudium gegeben haben.
Obgleich sein
Unterricht hochinteressant sein kann, finde ich mich bei Herrn
Siebert und überhaupt auf diesem Gymnasium nach einiger Zeit bei
den schlechteren Schülern
wieder. Ich begreife dies nicht recht, bemerke nur, daß ich mich oft
nicht richtig oder überhaupt nicht vorbereiten
konnte. So bekommen wir im Fach Deutsch bald als Hausaufgabe
auf, uns „Fahrkraft
Nr. xx” anzuschauen. Ich verstehe nicht, was
dies soll und verwundere mich etliche Male über
bestimmte grammatische Fragen und Prüfungen. Bis ich
darauf komme, daß dieses von dem Studienrat
undeutlich ausgesprochene Wort
„Paragraph” heißt und sich auf ein Übungsbuch bezieht, das
ich mir noch nicht näher angeschaut oder gar noch nicht
angeschafft habe.
Im 1.
Halbjahreszeugnis habe ich lediglich in Deutsch die Note „gut”
und in Lateinisch sowie in Mathematik und Biologie
„mangelhaft”: „Die Versetzung ist gefährdet”,
ist im Herbstzeugnis zu lesen; und in dem von 1957 gar
„sehr gefährdet”, so daß ich denn zu Ostern 1958
tatsächlich die
Quarta wiederholen
muß.
Wie
mir in später Jugend mein philosophischer Weggenosse Heinz-Jürgen
Maas erzählte, hätte ihm sein einstiger Nachhilfelehrer
Dr. Siebert erklärt, daß ich als Quartaner in meiner
Entwicklung einfach noch nicht so weit gewesen wäre.
An meiner retardierten Entwicklung, die ich in
physisch-körperlicher Hinsicht immer
wieder selbst registrierte, kann es allein nicht gelegen haben.
Hinzu trat zunächst eine gewisse mentale
Blockade, die ich dem elterlichen
Erziehungsstil verdankte und die just in den für meine
Versetzung kritischen Jahren, von 1956 bis '58, durch das
paramilitärische und mich ganz in
Beschlag nehmende Leben bei den Pfadfindern verstärkt
wurde.
Sodann
fehlten mir einfachste (arbeitstechnische) Voraussetzungen
wie die Kenntnis des Wortes „Paragraph”; offenbar
wurden wir von unserem Grundschulrektor, der uns
so gern zu allen möglichen Gelegenheiten freigab, in
mancher Hinsicht schlecht vorbereitet. Zudem erfuhr ich erst
Jahre später, daß diese von mir als Paukanstalt
empfundene Schule von ihren Lehrern als Elitegymnasium
verstanden wurde, wegen ihrer rigorosen
Ausmusterung und extrem
hoher „Sitzenbleiber”-Quoten
weit und breit gefürchtet war, so daß auch die besten Schüler
regelmäßig Hilfe im Elternhaus
oder anderswo bekamen. Ich dagegen erledigte
meine Hausaufgaben jahrelang überwiegend in den
Unterrichtspausen, durch hastiges „Abpinnen”!
Ausschlaggebend aber war gewiß meine innere
Ablehnung dieser Unterrichtsform.
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