Quelle: www.max-behrendt.de/jahrgang/lehrerschaft.html
Kurz
vor dem Abitur müssen ihn Anwandlungen von Panik befallen
haben. Laut Tagebuch vom 25.11.64 zog sich die schriftliche
Nacherzählung eines Auszugs aus Camus’ ‚Lettre
à un ami allemand’ mit den Zusatzaufgaben von 8 Uhr bis
14 Uhr 40 hin! Am 11.12., drei Tage vor Beginn der
Schriftlichen Prüfungen, wurde der Sportunterricht
zugunsten von Französisch geopfert: Es „sei dies höchst
wichtig für unser Abitur: eine Übersetzung
(die er offenbar zusammenstellte, um uns für
unsere Nacherzählung noch mit einigen Wendungen
bekannt zu machen)”. Ich scheine angenommen zu
haben, daß er schon Einsicht in die Abiturarbeit besaß und uns
großzügigerweise noch mit diversen
Vokabeln aushelfen wollte! Das Gegenteil trat dann ein, und
so wird denn wohl auch meine schockähnliche
Reaktion verständlicher.
Wie
ich nun erfahre, wäre Herr Sundermann schon während des
Assessorexamens so nervös gewesen, daß er zur Gaudi einiger Schüler
die Frage stellte: „How hangs this together?” Und als
ich hörte,
daß
unser Französischlehrer sich später eine Zeitlang aus dem
Schuldienst beurlauben lassen mußte, verwunderte mich dies gar
nicht und dachte ich sogleich an die Diskrepanz zwischen
seinem Anspruchsdenken und seiner
Ängstlichkeit sowie an einige
(Wiederholungs-)Tics, die teilweise schon in
unserer „Bierzeitung” von 1962 registriert wurden. In
ihr ist noch eine fingierte Kinoanzeige
zu lesen: „Television, mon amour ... Haben Sie diesen
Film schon gesehen? Ha, dürfen Sie ja gar nicht!!”
Dieses auftrumpfende „Ha!” nach harmlos
klingender Frage ist mir als rhetorische Geste
noch geläufig und will mir nachgerade auch seinen Mut
bezeichnen, sich mit dem Verbotenen und Unbekannten,
das er so sehr fürchtete, doch noch zu beschäftigen,
halb im Scherz und halb wie ein Fallensteller. Und
habe um so mehr anzuerkennen, daß Herr
Sundermann als einer der wenigen Lehrer sich nicht vor
erotischen Themen drückte und mit uns Flauberts
‚Madame Bovary’, Gides ‚La porte étroite’ und
Racines ‚Phèdre’ durchging.
P.S.
2014:
Starke Zustimmung gefunden hat übrigens Sundermanns Übersetzung von
E.A. Poes ‚The Raven’, vgl.
www.ddr-hoerspiele.de/Literarisches/Originale.htm
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