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Gut
zwei Jahrzehnte nach dem Abitur stattete ich unserem letzten
Klassenlehrer „Egon” einen Besuch ab und überreichte
ihm dabei mein jüngstes Buch über den ‚Literarischen
Vampirismus’ Klingemans, über den Verfasser des
ersten „nihilistisch”-atheistischen Buchs der
Moderne! Das sollte wirklich keine provokative Geste sein,
setzte aber in der Sache ohne weiteres unsere
damaligen Streitgespräche fort. Auch glaubte mein
Lehrer sich diesmal wieder mit sanftem Tadel gegen eine
entsprechend despektierliche Bemerkung von mir verwahren zu
müssen.
Ich
hatte mich nicht angemeldet, klingelte einfach an seiner Haustür und
brachte mich in Erinnerung. Er schien doch stärker
erfreut als überrascht zu sein und bemerkte beim Abschied,
daß ein solch unangemeldeter Besuch im Grunde das beste sei.
Seine Frau versorgte uns mit Kaffee und Kuchen und ließ
uns dann allein. Er war seit einigen Jahren
pensioniert und hatte zuletzt die erste Gesamtschule
in NRW (im benachbarten Stadtteil Osterfeld) geleitet.
Meinen Ausführungen zum damaligen, mich besonders in
der Unterstufe so bedrückenden
Sterkrader Schulleben widersprach er nicht und
äußerte sich auch nicht zu einzelnen Kollegen. Wie bald
deutlich wurde, konnte er sich an bestimmte
Ereignisse in unserer Klasse und an meine Mitschüler nur noch vage
erinnern, hatte er es doch, wie er dann selbst erklärte,
seitdem mit hunderten anderer Schüler zu tun gehabt. Aus meiner
Klasse habe ihn seit dem Abitur nur noch Wim wieder
besucht, ungefähr zwei Jahre vor mir.
Wir
sprachen von gleich zu gleich. Und doch durchschwebte unser Gespräch
der Geist unseres alten Lehrer-Schüler-Verhältnisses
– als Respekt, den man nicht abschütteln möchte, weil er den
eigenen Freiheitssinn und auch den Großmut des anderen, ohne
den er sich nicht hätte entfalten können, in Erinnerung behält.
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