nur
ein Teil der Arbeit, aber das genügt schon, um eine
ausreichende Note zu erhalten oder mich bloß zu
vergewissern, daß auch er eine obskure Stelle so
ähnlich wie ich aufgefaßt hat. Alles läuft denkbar diskret
ab, nichts wird von Hand zu Hand gegeben, keine
Resultate werden zugeflüstert, allenfalls
mache ich einmal leise auf eine bestimmte Aufgabe
oder Zusatzfrage aufmerksam. Aber nur ja
nicht heischend oder flehentlich, wie ich es bei manch anderem
beobachten konnte.
So
war selbst dieses Delikt, das in
der Mittelstufe schätzungsweise von einem Drittel der Schüler
permanent begangen und uns von einigen Lehrern als
abscheuliches Vergehen hingestellt wurde, durch ein Ethos der
Rücksichtnahme und Selbstachtung überformt. Auch ging mir im Lauf
der Schulzeit auf, daß wir mit unseren individuellen
Betrugsmanövern den größeren institutionellen Betrug
wettzumachen hatten, der darin bestand, daß
andere Schüler systematisch von Eltern und bezahlten Helfern,
unter denen sich Studienräte aus der eigenen
Klasse befanden, nach Kräften gefördert wurden,
während unsereins, nicht einmal mit allen Büchern versehen
und ausdrücklich nur auf Widerruf an einer höheren
Schule, sich allein durchzuschlagen hatte. Was
vor allem deshalb so schwerfiel, weil uns an diesem
Gymnasium der Sinn fürs Lernen nicht geweckt wurde
und so lange, ungefähr bis zur „Mittleren Reife”,
über tausende von Unterrichtsstunden
hin, beinahe nur das stumpfe versklavende „Pauken” oder
Auswendiglernen galt. Also bloß keine
Gewissensbisse Jahrzehnte später! Wir betrogenen
Betrüger waren vielmehr tüchtige Pragmatiker und borgten uns
das Nötige von Banknachbarn, die ja ihrerseits
von unserem Schulsystem, das solche Begünstigungen und
Benachteiligungen förderte, recht gut profitiert
hatten.
Im Frühjahr 1962
erhalten wir die mit dem Abschluß der Untersekunda verbundene, keine
spezielle Prüfung erfordernde „Mittlere
Reife”. Mit ihr verläßt uns ein
Großteil der Mitschüler; einige wechseln auf ein anderes Gymnasium
über, die meisten aber erlernen einen Beruf.
Zu
den letzteren sollte auch ich gehören und machte auf Geheiß meiner
Eltern bei Thyssen in Duisburg-Hamborn einen Eignungstest
als „Industriekaufmann” mit. Bei der
Schlußbesprechung wurde ihnen jedoch geraten, mich besser bis zum
Abitur weitermachen zu lassen, da ich eigentlich
ein ganz passables Zeugnis hätte. Wer weiß, was man bei diesem
Test glaubte herausgefunden zu haben, ich
jedenfalls spielte dabei von einem bestimmten Moment
an nicht mehr recht mit.
- 35 -