Quellen: ‘Festschrift zum 100-jährigen Jubiläum des Freiherr-vom-Stein-Gymnasiums’ (Oberhausen 2005, S. 48) www.max-behrendt.de/jahrgang/bilder/lehrer/gross/schaecke-otto-1964.jpg
„KUNST”
Von der Sexta
bis zur Oberprima ist „Otto” unser Kunsterzieher.
Gleichwohl ist mir die Physiognomie dieses für mich
ungefähr 50jährigen Mannes nicht mehr deutlich; er
scheint eine „Künstlermähne” zu tragen und entsprechend
gekleidet zu sein. „Otto” hat sich in dem Nebenraum
am Ende des Zeichensaals eingerichtet, in dem es wohl
eine Chaiselongue und ein Waschbecken gibt und aus dem er
öfter mit wirrem Haar heraustritt. Einigemale
habe ich dort mit Mitschülern zu tun, um Requisiten
für den Unterricht oder für die musikalische
Aufführung des von ihm gemalten „Struwwelpeter”<!>
herbeizuschaffen.
In den ersten
Jahren gibt er mir immer „ausreichend”, in den letzten immer
„gut”. Doch kann ich seine Noten bald nicht mehr ernst
nehmen, bin ich doch in der Sexta und Quinta wiederholt darüber
enttäuscht, daß er gewisse Aquarelle nicht
deutlich besser bewertet als andere von mir, so –
mitsamt seiner Benotung noch erhalten –
Mümmelmanns Haus, eine sortenreiche
Ansammlung von Pilzen oder von Blumen auf einer
Wiese, Vögel in winterlicher Umgebung, ein
Bauerngehöft oder die brennende Kerze auf einem
Tannenzweig. Ihm scheint nicht einmal aufzufallen, daß
ich für einige Zeichnungen bestimmte Motive
mit schwierigen Perspektiven aus einem
Übungsbuch übernommen habe.
„Otto”
geht von Schüler zu Schüler und merkt bei mir kritisch an, daß
ich noch stärker mit Deckweiß arbeiten müßte und
eintönige Wiesenflächen durch
Farbmischung beleben könnte. Ein andermal läßt er
uns aus Balsaholz das Trojanische Pferd
nachbauen.
Von
der Mittelstufe an zeigte er uns Kunstphotos etwa von Rembrandt und
Macke vor und ließ sie uns auch kopieren. Fahrig und ohne
Systematik wiederholte er seine Mahnungen
und kunsttheoretischen Erläuterungen, in deren
Mittelpunkt der ‚Goldene Schnitt’ stand.
Seine
pauschalen Verunglimpfungen der Gegenwartskunst
zeigten mir dann, daß er längst nicht mehr auf dem laufenden
war, auch wenn er sich gelegentlich bis zur „Brücke”
und zum „Blauen Reiter” hin vorwagte. Seine Ausführungen
pflegten wir zuletzt spöttisch zu kommentieren,
ließen ihn jedoch meist in Frieden und unterhielten
uns bei der Arbeit zu zweit oder dritt über andere
Dinge.
Postscriptum
2013:
Otto Schäcke unterrichtete vor dem 2. Weltkrieg in der Saalestadt
Bernburg; dazu und zu seinem dortigen Kunstunterricht vgl.
diesen Link.
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