Quelle: www.max-behrendt.de/jahrgang/lehrerschaft.html
Studienassessor
H. ist der letzte Lehrer, den wir in der Oberstufe
erhalten. Sein Unterrichtsstil scheint mir eine neue Generation
von Lehrern anzukündigen, hat in der toleranten
Lässigkeit etwas nüchtern Programmatisches und ist wohl nicht
abzutrennen von dem neuen Unterrichtsfach
„Gemeinschaftskunde”. Dieses überschneidet
sich zwar im Stofflichen immer wieder mit den alten Fächern
Erdkunde und Geschichte, führt uns aber in eine
neue sozialgeschichtliche und politische Dimension
ein, die auch ethische Fragestellungen wie die nach dem
frühkapitalistischem Umgang mit der
Arbeiterschaft bereithält. Darin und
in dem diskussionsintensiven Stil ist es für mich das erste
Schulfach, in dem er demokratische Geist der
doch lange schon bestehenden Bundesrepublik sich
selbstbewußt manifestieren kann. Dieser Assessor
ist dabei so offen, auch philosophische Randfragen wie
die nach der Willensfreiheit mit aufzunehmen, die er – anders
als ich – schon durch die menschliche Vernunft für
gesichert hält. Freilich läßt er die Frage nicht als
abstraktes Problem stehen, sondern bezieht sie
sogleich wieder auf das Unterrichtsthema <den
Determinismus der Rassenlehre> zurück.
Er
kann durchaus ironisch, mißmutig oder auch provokant
auftreten, nimmt jedoch weder unseren Widerstand noch
unser Desinteresse persönlich, sondern als Ausdruck
unserer Schülerexistenz, so, als wüßte er noch bestens
Bescheid und dürfte es auch kaum anders sein. Dafür scheut er
sich auch nicht, gelegentlich zu denselben
Listen wie unsereins zu greifen. Als ich mich einmal wegen
meines lückenhaften Schulbesuchs vor einem
Referat gedrückt und das Thema schon meinem Banknachbarn
überlassen habe, setzt er alles daran, mich von einer
Stunde zur anderen, anläßlich der Inspektion unseres
Schuldirektors, wenigstens als Korreferenten
heranzuziehen. Gerade eben noch kann ich mich von einem seiner
ahnungslosen Kollegen beurlauben lassen und
so dem drohenden Fiasko entkommen.
Als
ich Tage später wegen einer Verletzung beim Sportabitur
nur zusehen kann und sogar „Charly” mich finster anblickt
und als Simulanten zu verdächtigen scheint, ist Herr H. der einzige,
der zu mir hintritt und sich mit mir unterhält („ist sehr
charmant”).
Ich
habe es ihm schlecht vergolten. 1995 fragte ich X. nach einem
mir rätselhaften Tagebucheintrag, der sich auf
unsere Berlinfahrt vom 25.-31.10.64 bezog („Diskussion
mit H. über Berlin; sagt, er wolle das
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