„Egon”
muß auch andere Fachlehrer von meinen theoretischen
Anstrengungen in Kenntnis gesetzt haben. Auf einmal
nämlich werde ich in allerlei kleine Dispute verwickelt,
kommt unser Französischlehrer wiederholt auf den
‚Bovarysme’ bei Flaubert zurück, fragt in
„Gemeinschaftskunde” der junge
Studienassessor H. nach meiner Ansicht über die
Willensfreiheit und lauert mir gar eine Canaille
wie „Franz” alias „Trapper” en passant mit der
Frage nach dem Wesen des Menschen auf.
Ebenso
weist mich unser Mathematiklehrer „Charly” von Zeit zu Zeit auf
Gemeinsamkeiten zwischen der mathematischen
und der philosophischen Argumentation hin.
Obgleich ich merke, daß er mich dadurch in meinem
schwächsten Fach anzustacheln sucht, nehme ich ihm sein
Interesse am vergleichenden theoretischen Blick ab.
Schon in der späten Mittelstufe, als er uns auch in
Physik und Chemie unterrichtet, distanziert er sich
mit einer Selbstironie, die ich von Lehrern so überhaupt
nicht kenne, vom eigenen fachlichen Treiben, speziell von seinen
oft stockenden oder sprunghaften mathematischen
Demonstrationen und gelegentlich mißlingenden
naturwissenschaftlichen Experimenten. Dafür
rühmt er die Überlegenheit des Theoretikers
gegenüber der studienrätlichen Praxis und
führt einmal demütig aus, wie der „kleine Gauß”
die Rechenaufgabe seines Schulmeisters, alle Zahlen von 1
bis 100 zu addieren, so genial gemeistert
hätte.
Mit
seinen auch ironischen Hinweisen bringt es „Charly”
irgendwie fertig, daß ich mich in den Monaten vor dem Abitur
zum erstenmal ausdauernd mit der Materie befasse, bald
einigen Spaß an der Mathematik finde und mich im
Schriftlichen Abitur sogar zurückhalten muß, um
nicht Gefahr zu laufen, etwa „gut” zu schreiben und
deswegen in die Mündliche Prüfung zu müssen.
Als ich ihn nach Verlesen der schriftlichen Prüfungsaufgaben
frage, ob er mir zusagen könne, mich im Falle einer
„befriedigenden” Arbeit später unbehelligt zu
lassen, lacht er laut auf und verspricht es mir fest. So
etwas wäre ihm noch nicht vorgekommen! Noch Minuten später,
als wir schon schreiben, sehe ich ihn beim Auf- und Abgehen
lächelnd den Kopf schütteln.
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