Quelle: www.fvsg-ob.de/71.html
***
Jene
Rahmenbedingungen, insbesondere die Zeitvorgaben, änderten sich
schlagartig mit Beginn des Studiums, und schon Monate nach dem Abitur
wurden meine schriftlichen Arbeiten statt mit der alten Dauernote
„ausreichend” durchweg mit „sehr gut” bewertet. Was mich nicht im
geringsten verwunderte und von mir nicht einmal als Genugtuung
empfunden wurde, sondern schlicht als Selbstverständlichkeit.
Hätte man diesen Zeitdruck nicht schon in der Oberstufe von uns nehmen
können, indem man uns statt der „Klassenarbeiten” das eine oder
andere komplexere Thema auch zu Hause schreiben ließ? Möglich war dies
damals nur für Referate in den Wahl- und Randfächern wie Philosophie
und Gemeinschaftskunde sowie für die „Jahresarbeit” vor dem Abitur.
Schriftliche „Hausarbeiten” hingegen waren in ihrem Problem- und auch
Lösungsniveau weithin genormt und schon wegen ihrer stundenweisen
Fälligkeit auf keine nennenswerte Vertiefung hin angelegt. Wie zu
sehen, ging es meinem Deutschlehrer jedoch nicht nur um das
Fragmentarische meiner Aufsätze. Sie waren ihm auch „zu kritisch” in
dem Sinne, daß ich die schriftliche Aufgabenstellung als solche nicht
annahm, sondern sogleich einer begrifflichen Analyse unterzog, die der
Untersuchung eine eigene, von ihm und dem Unterrichtsprogramm so
nicht intendierte Richtung geben mußte. Ein Eigensinn, der sich in
dieser Intellektualität erst in der Oberstufe herausbilden konnte, im
Grunde aber nur eine andere Erscheinungsform jener Mentalität war, die
schon ungefähr im elfjährigen Quintaner Gestalt annahm, in meiner
trotzigen Gewißheit nämlich, die Sache eigentlich besser verstanden zu
haben oder doch verstehen zu können als der mich abfragende
unzufriedene Lehrer. Und ist es nicht so, daß dieser Existenzkampf
gegen die Schülerrolle, gegen die Subordination unter ein vorgegebenes
Problemniveau, kaum jemals ausgestanden ist?
- 45 -