Tagebuchnotizen zum Schulleben vom 11.12.1964, drei Tage vor dem Schriftlichen Abitur
(die verblassende Bleistiftschrift habe ich nachgezogen)
Das Tagebuch führte ich der Übung halber in englischer oder französischer Sprache.
Enttäuscht
bin ich darüber nicht, habe ich doch schon in H.-Jürgen jemanden
gefunden, mit dem ich philosophische Streitgespräche
bis hin zur existentiellen Selbstbehauptung führen kann. Und weiß
zudem längst, daß solchen Problemen nicht im Gespräch,
sondern nur im schriftlich sich vortastenden
Denken annähernd gerecht zu werden ist. Meine Ungeduld,
die „Egon” glaubt beschwichtigen zu
müssen, ist elementarer, liegt in der Sache selbst, im Fragen und
Weiterfragen, das nun einmal nicht zur Ruhe
kommen und so etwas wie ein „Ergebnis” der Unterrichtsstunde
nicht akzeptieren will. So bin ich mir auch dessen
bewußt, daß es meine eigentliche, die Schule übersteigende
Reifeprüfung ist, die ich in diesem Philosophieunterricht
absolviere.
Wenn
ich meinem Philosophielehrer so zusetze, dann meine ich zugleich
meinen Deutschlehrer „Egon”, der mit meinen – freilich nie
zu Ende gebrachten – Aufsätzen nicht zurechtkommt, sie wiederholt
längere Zeit liegen läßt oder einem Kollegen
vorlegt, um dann doch wieder das enttäuschende Urteil
„ausreichend” darunter zu setzen. Was ihm daran mißfällt,
bespricht er mit mir nicht im Detail, sondern begnügt sich mit
dem seufzenden Hinweis auf die Mühe, die er sich mit dem
Verständnis gegeben hätte. Einmal gar stellt er
pauschal die Logik meiner Argumentation in Frage, was mich
so trifft, daß ich die Arbeit auch Ernst und Ruth zu lesen
gebe, deren Urteil mich wieder aufrichtet.
Antworten kann ich „Egon” allerdings nur indirekt, im
Philosophieunterricht, indem ich ihm zeigen möchte, daß es ein
Nachdenken gibt, das nun doch erheblich tiefer zu
dringen sucht als das Problembewußtsein, das er als Lehrer für
zumutbar hält.
In
meinem Tagebuch von 1964 findet sich folgendes zu den beiden letzten
Deutscharbeiten vor dem Abitur:
9.9.64:
„Schulneubeginn ... Deutscharbeiten zurück, ich nicht: <Er>
weiß nicht, wo <meine> einzuordnen <ist>,
dennoch positiv; will die Arbeit weiterreichen”.
15.9.:
„Mein Deutschaufsatz liege immer noch bei Dr. S.!”
22.9.:
„In der Philosophiestunde attackiert mich Egon wegen des
Aufsatzes: er wäre unmöglich, überhaupt nicht logisch usw.
Obgleich ich dies zurückweise, bin ich – vielleicht zum
erstenmal überhaupt – nicht mehr von meinem Genius
überzeugt. Egon hat nicht den Mut, den Aufsatz zu benoten
und händigt ihn mir auch nicht aus; offenbar eine beunruhigende
Arbeit.”
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