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Herr S. alias „Otto” 1957/58

„Otto” S. 1964 (Photo von Gerhard Dotzauer)


Quellen: ‘Festschrift zum 100-jährigen Jubiläum des Freiherr-vom-Stein-Gymnasiums’ (Oberhausen 2005, S. 48)

www.max-behrendt.de/jahrgang/bilder/lehrer/gross/schaecke-otto-1964.jpg    

„KUNST”


Von der Sexta bis zur Oberprima ist „Otto” unser Kunst­er­zie­her. Gleich­wohl ist mir die Physiognomie die­ses für mich ungefähr 50jährigen Man­nes nicht mehr deutlich; er scheint eine „Künstlermähne” zu tragen und ent­spre­chend gekleidet zu sein. „Otto” hat sich in dem Ne­ben­raum am Ende des Zeichensaals ein­ge­rich­tet, in dem es wohl eine Chaiselongue und ein Waschbecken gibt und aus dem er öfter mit wir­rem Haar her­aus­tritt. Ei­ni­ge­­ma­le habe ich dort mit Mitschülern zu tun, um Re­qui­si­ten für den Unterricht oder für die mu­si­ka­li­sche Auf­füh­rung des von ihm gemal­ten „Struwwelpe­ter”<!> her­bei­zu­schaf­fen.


In den ersten Jahren gibt er mir immer „ausreichend”, in den letzten immer „gut”. Doch kann ich seine No­ten bald nicht mehr ernst nehmen, bin ich doch in der Sexta und Quinta wiederholt darüber enttäuscht, daß er ge­wis­se Aqua­rel­le nicht deutlich besser bewertet als an­de­re von mir, so – mitsamt seiner Be­no­tung noch er­ha­lten – Müm­mel­manns Haus, eine sortenreiche An­samm­­lung von Pilzen oder von Blu­men auf ei­ner Wie­se, Vö­gel in winterlicher Um­gebung, ein Bauern­gehöft oder die brennende Kerze auf einem Tan­nen­zweig. Ihm scheint nicht ein­mal aufzufallen, daß ich für einige Zeich­nun­gen be­stimmte Mo­tive mit schwie­ri­gen Per­spek­ti­­ven aus einem Übungsbuch über­nommen ha­be.

   „Otto” geht von Schüler zu Schüler und merkt bei mir kri­tisch an, daß ich noch stärker mit Deckweiß ar­bei­ten müß­te und eintönige Wie­senflächen durch Farb­­mi­schung beleben könnte. Ein andermal läßt er uns aus Bal­sa­holz das Tro­ja­ni­sche Pferd nachbauen.

Von der Mittelstufe an zeigte er uns Kunstphotos etwa von Rembrandt und Macke vor und ließ sie uns auch ko­pie­ren. Fahrig und ohne Systematik wieder­holte er sei­ne Mah­­nun­gen und kunsttheoretischen Er­läuterungen, in de­ren Mit­telpunkt der ‚Gol­de­ne Schnitt’ stand.

   Seine pauschalen Verunglimpfungen der Ge­gen­warts­kunst zeigten mir dann, daß er längst nicht mehr auf dem lau­fen­den war, auch wenn er sich gele­gentlich bis zur ”Brü­cke” und zum „Blauen Reiter” hin vorwagte. Sei­ne Aus­­füh­run­gen pflegten wir zuletzt spöttisch zu kom­men­tie­ren, ließen ihn jedoch meist in Frieden und un­ter­hiel­ten uns bei der Ar­beit zu zweit oder dritt über andere Dinge.


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