An meinen
Schulschreibheften gefallen mir die Etiketten mit ihren zart
gezogenen bläulichen Linien und abgerundeten
Kanten. Ich mag die Hefte gern benutzen und stelle auch mit
ziemlicher Befriedigung fest, daß unser Rektor
nur selten einmal einen Diktatfehler darin vermerken
kann.
Gegen
Ende des 4. Schuljahres will mein Vater, daß ich von nun an ein
Tagebuch schreibe. Ich bin aber auf der Hut und erwähne nur
diejenigen meiner Übeltaten, die harmlos sind
oder schon entdeckt und bestraft wurden.
Dieses
Tagebuch, eine Kladde mit bläulich-schwarz marmoriertem Pappdeckel,
ist das älteste von mir erhaltene schriftliche
Dokument. Ich führte es von Herbst 1954 bis Anfang 1955. Ich
weiß nicht mehr, ob ich von Beginn an eine Falle
witterte oder das Ganze zunächst nur als eine Bestrafung
ansah, so wie Vater uns später Strafgedichte und
-aufsätze aufgab. Es sieht so aus, als hätte ich dies
damals selber herauszubekommen
versucht, findet sich doch schon am zweiten Tag der
leicht provokante, wie in einen Potentialis gekleidete
Eintrag: „Schlechtes Wetter Mittags, so daß
ich keine Streiche spielen konnte.” In den nächsten Tagen
werde ich zunehmend kühner (30.10.: „abends
... Klimpermänchen gemacht”; 31.10.: „als
der Kerl da an der <Fußballvereins->Kasse
mal weg ging, bin ich an ihm vorbeigerannt, denn ich hatt kein Geld
mit”). Dann aber gebe ich mich über Wochen hin kreuzbrav
und verschleiere gar am 9.11.54 einen erfolgreichen
Schummelversuch („Abends fuhr ich umsonst nach
Hamborn”, d.h. ich drückte mich am kassierenden
Schaffner vorbei). Erst im Januar '55 rücke ich
wieder mit kleineren Vergehen heraus
(„Kissenschlacht”; „mit Taschenlampe
heimlich rausgegangen”). Das sieht denn doch
nach dem taktischen Verhalten dessen aus,
der sich auf einen Mitleser eingestellt hat.
Auch glaubt man bald der lustlos und uninspiriert wirkenden
Ausführung das Abgepreßte anzumerken.
In
meinem Tagebuch ist zur Schule noch zu lesen: Am 4.11.54 „bekamen wir das
Heftchen: ‚Till Eulenspiegel’ zum lesen!”
Ich entsinne mich,
wie wir über Till sprechen, der alle Befehle und Aufträge so
wörtlich-wild ausführt.
Am
13.12.54 hatten wir laut Tagebuch „schulfrei”.
Am 16.12. ließ uns der Rektor zu seinem Geburtstag
schon um 11 Uhr nach Hause gehen. Am 15.2.55 bekamen wir wegen
Schneefalls keine Schularbeiten auf, und am nächsten
Tag endete der Unterricht wegen des Karnevals wiederum
um 11 Uhr. Wiederholt hatten wir ohne Angabe von Gründen
schon um 10 Uhr schulfrei, dies in den Monaten
vor der Zulassungsprüfung fürs Gymnasium! Womöglich wurde Herr Schneiders schon damals vormittags zu Sitzungen des Oberhausener Stadtrats abgeholt.
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