Herr Hebel muß
auch andere Fachlehrer von meinen theoretischen
Anstrengungen in Kenntnis gesetzt haben. Auf einmal
nämlich werde ich in allerlei kleine Dispute verwickelt,
kommt unser Französischlehrer Hans-Walter Sundermann wiederholt
auf den ‚Bovarysme’ bei Flaubert zurück,
fragt in „Gemeinschaftskunde” der junge
Studienassessor Karl-Josef Hamm nach meiner
Ansicht über die Willensfreiheit und lauert mir
gar der unsägliche „Trapper” en passant
mit der Frage nach dem Wesen des Menschen auf.
Ebenso weist
mich unser Mathematiklehrer
Karl Meeßen alias „Charly”
von Zeit zu Zeit auf Gemeinsamkeiten
zwischen der mathematischen und der
philosophischen Argumentation
hin. Obgleich ich merke, daß er mich dadurch in meinem
schwächsten Fach anzustacheln sucht, nehme ich ihm sein
Interesse am vergleichenden theoretischen Blick ab.
Schon in der späten Mittelstufe, als er uns auch
in Physik und Chemie unterrichtet, distanziert
er sich mit einer Selbstironie,
die ich von Lehrern so überhaupt nicht kenne, vom
eigenen fachlichen Treiben, speziell von seinen
oft stockenden oder sprunghaften mathematischen
Demonstrationen und gelegentlich
mißlingenden naturwissenschaftlichen
Experimenten. Dafür rühmt er die
Überlegenheit des Theoretikers
gegenüber der studienrätlichen
Praxis und führt einmal demütig aus, wie der
„kleine Gauß” die Rechenaufgabe seines
Schulmeisters, alle Zahlen von 1 bis 100 zu addieren,
so genial gemeistert hätte.
Mit
seinen auch ironischen Hinweisen bringt es „Charly”
irgendwie fertig, daß ich mich in den Monaten vor dem Abitur
zum erstenmal ausdauernd mit der Materie
befasse, bald einigen Spaß an der Mathematik finde und
mich im Schriftlichen Abitur sogar zurückhalten
muß, um nicht Gefahr zu laufen, etwa „gut” zu schreiben
und deswegen in die Mündliche Prüfung zu müssen.
Als ich ihn nach Verlesen der schriftlichen
Prüfungsaufgaben frage, ob er mir
zusagen könne, mich im Falle einer
„befriedigenden” Arbeit später
unbehelligt zu lassen, lacht er laut auf und
verspricht es mir fest. So etwas wäre ihm noch nicht
vorgekommen! Noch Minuten später, als wir schon
schreiben, sehe ich ihn beim Auf- und Abgehen
lächelnd den Kopf schütteln.
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