tosenden
Meer zu kentern droht, ist inmitten der Panik unter
aufzuckenden Blitzen(?) eine maskenhaft starre grüne
Poseidon-Statue zu sehen. In Lumpen umschleicht er den
eigenen Palast und scheint sich an ein Feuer hinzuhocken.
Bis er endlich den mächtigen Bogen spannen kann,
einen Pfeil durch die Schaftlöcher der hintereinander
gestellten Äxte schießt und gleich danach entschlossen
die Tore verrammelt, um Freier für Freier zu
erlegen!
Der
Film von Mario Camerini (1953) wurde in Deutschland am 8.2.55
erstaufgeführt (freigegeben ab 12 Jahren).
Vermutlich konnte ich mich also schon mit
gerade zehn Jahren in den Kinosaal einschleichen.
Trotz meiner Vertrautheit mit der ‚Odyssee’ wurde
der Film zum sicherlich komplexesten und
erhellendsten Bildungserlebnis meiner
Kindheit, werden doch hier die folgenden für
mich bedeutsamen Themen zum erstenmal miteinander
verflochten (wie mir beim Wiedersehen 40 Jahre später
deutlich wurde): Entfaltung der Lebensgeschichte
des Helden durch das eigene angestrengte
Erinnern; listiges Ankämpfen gegen die
rohe Übermacht; Verachtung der einschüchternden
Götter und aller Bestechungsversuche
mit ihrer Unsterblichkeit zugunsten der
Solidarität mit dem Menschen, dessen
Sterblichkeit gar freiwillig zu übernehmen wäre. Und
die Treue der Wartenden, dieser Penelope,
die in ihrer bleichen, dem Leben entrückten
edlen Schönheit und sehnsüchtigen Klage einen Knaben
schon verführen kann! Bemerkte ich eigentlich
damals, daß Silvana Mangano auch die Rolle der Circe
spielt, die wiederum mit der Figur der Kalypso verschmolzen wurde?
Doch
zunächst zu den oben von mir frei erinnerten Motiven und Szenen.
Einige Erinnerungsfehler sind wieder einmal im
Sinne des Films, indem ich dessen Leerstellen im Lauf
der Zeit in der Phantasie ergänzte:
– Die
Sirenen erscheinen nicht „undeutlich links(?) im Hintergrund”,
sondern werden in dieser Nachtszene, die allerdings
ziemlich obskur bleibt, überhaupt nicht gezeigt. Nur die
auf dem Felsenriff blinkenden Knochen ihrer Opfer sind in einiger
Entfernung auszumachen.
– Wenn
Polyphem sich einen der Männer packt, ist nicht zu sehen, wie er ihn
„sich ins Maul” stopft. Dies wird nur suggeriert,
indem er den Zappelnden zu sich emporzieht,
die entsetzten Gesichter seiner Gefährten zu sehen sind und
Polyphem sich schließlich noch das Maul abwischt und
bemerkt: „ ... Griechen, euer Fleisch schmeckt widerlich,
äh!”
– Daß
die Männer sich unter die Schafe geklammert hätten, ist nun eine
bloße Lektürereminiszenz, räumt doch
Polyphem im Film die Felsen vor dem Höhleneingang
unmotiviert oder verwirrt hinweg, so daß die Männer
ohne weiteres die Schafe hinaustreiben
können.
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