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Lektüre in der Sekunda oder Prima


1996, beim Wiederlesen von Wilders Stück, kann ich nicht mehr aus­ein­an­der­hal­ten, inwieweit die bald in mir auf­stei­gen­de Melancholie mich schon damals ergriff, als ich etwa von den morgendlichen Vor­be­rei­tun­gen auf den Schul­tag las, oder erst jetzt, in der Er­in­ne­rung an die Schultage, an denen wir dies lasen. Und würde den klei­nen Fin­ger da­für hingeben, könnte ich einer solchen Stunde in meiner Er­in­ne­rungs­be­schrei­bung so bewußt fol­gen, wie es die bei der Ge­burt ihres Kindes ver­stor­bene Emily bei Wilder vermag, als sie auf einen Tag, den ihres 12. Ge­burts­tags, zu­rück­keh­ren darf. Sie hält es kaum eine Stunde lang aus, da sie alles zugleich aus der schon durch­leb­ten Zukunft her erblickt und um so schärfer die Gleichgültigkeit der Lebenden gegen die Ge­gen­wart und ge­gen­ein­an­der erkennen muß. Doch ist dies nicht im Grunde auch die zeit­lich gebrochene Per­spek­ti­ve des­sen, der sich erinnert?

   Schon in der Erinnerung also, noch diesseits des Standpunkts christ­li­cher Verheißung, kommt das Skandalon in den Blick, welches Th. Wil­der wie auch offenbar meinen Englischlehrer umtrieb. Es ist dies nämlich die Sterb­lich­keit des Men­schen und der zusätzliche Verrat an der Gegenwart im Namen der Zukunft. Und nur in der Er­in­ne­rung läßt sich einiges von dem Versäumten wiedergutmachen, so vielleicht meine häufige Ab­we­sen­heit vom Un­ter­richt durch die­se kleinen Porträts der Lehrer, denen ich weit mehr verdanke, als ich damals ahnte. Wo­bei mir jetzt erst auf­ge­gan­gen ist, daß Macbeths Monolog über das Leben („... signifying noth­ing”) die an­geb­lich ni­hi­li­sti­sche Klage des von mir verehrten und dann iden­ti­fi­zier­ten deutschen Schriftsellers ‚Bo­na­ven­tu­ra’ (1804) vor­bereitete, daß näm­lich mit dem Tod jedesmal eine eigene Welt untergehe. Weshalb die eng­li­sche Wen­dung „learn­ing by heart”, die wir als Aufforderung so oft aus dem Munde von Dr. B. vernahmen, im Fal­le je­nes Mo­no­logs keine blo­ße Phrase blieb, sondern über Bonaventuras Totenklage mit den An­stoß zu der vor­lie­gen­den Er­in­nerungsarbeit gab.

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