Ein musischer Sadist (Schulrektor)
Im
3. und 4. Schuljahr, nach den Osterferien 1953 bis Ostern '55 ist
Rektor Schneiders mein Klassenlehrer. Er ist
groß, massig und fleischig, kann aber unbemerkt
seinen Platz verlassen und immer wieder einen von uns bei etwas
Verbotenem ertappen. Mit seinem leisen
Lächeln kommt er mir zunächst gutmütig vor, bis zu
sehen ist, daß er zugleich scharf und lauernd unter
seinen buschigen Brauen Ausschau
hält. Wenn er, wie so oft, jemandem
mit dem Rohrstock auf die vorgestreckte Hand schlägt,
behält er dieses Lächeln bei. Besonders gern scheint er
sich einen der schwächeren und kleinsten Mitschüler
vorzunehmen, ruft ihn, auch wenn er ihn sogleich
bestrafen wird, mit einer Verkleinerungsform seines
Nachnamens auf, die wie „kleines Scheißerchen”
klingt.
Dieser
ehemalige Mitschüler stimmte um 1990 meiner Vermutung
zu, daß unser Rektor, von dem er oft geprügelt oder
mit Abschreibearbeiten bestraft worden wäre,
seine Freude beim Verabreichen solcher Schläge gehabt
hätte. Einer meiner Pfadfinderkameraden,
der den Rektor noch aus späteren Jahren kannte,
bezeichnete ihn als heimtückisch und den
unangenehmsten aller Lehrer, der auch auf
die Schüler der gegenüberliegenden
katholischen Schule einzuschlagen pflegte.
Sein „Lächeln” sei nur ein maskenhaft starrer
Gesichtsausdruck gewesen. Eine ehemalige
katholische Schülerin erzählte mir, wie er
zu ihr herüberkam, sie willkürlich
irgendeines Vergehens bezichtigte
und ihr auf der Stelle eine Strafe gab; und eine andere,
wie er ihr ohne weitere Fragen ins Gesicht
schlug, als sie auf dem Schulhof Kastanien sammelte.
Noch im Jahr 2013 schrieb mir ein jüngerer, mir unbekannter Schüler:
„Ich erinnere mich an Demütigungen vor der Tafel, die waren so
nachhaltig, dass mir die Schule erst Jahrzehnte später
wieder Spaß machte. Prügelattacken mit Rohrstock und Faust vor der
Klasse sind mir bis heute in brennender Erinnerung. Noch
heute könnte ich ihn an die Wand nageln.”
Meinem
Bruder und dessen Freund machte der Rektor einmal den
absurden Vorwurf, auf einer Wiese ein Pferd angestochen
zu haben. Als mein Bruder daraufhin auf einen im Treppenflur
aushängenden Stundenplan „Schneiders, du Aschloch!”
schrieb, diktierte dieser einige Zeit später der Klasse
eine Rechenaufgabe des Inhalts, daß ein Ascheimer ein
Aschloch mit soundsoviel Zentimetern
Durchmesser habe; eine Aufgabe, die er als
Handschriftenprobe benutzte und so
meinen Bruder überführen konnte.
Warum
nur gebe ich all dies wieder? Brauche ich es immer noch für meine
Empörung über das, was er mir gegen Ende des 4.
Schuljahres antun wird? Und wie steht es um die Auskunft,
die ich 1976 von einer älteren Caféwirtin erhielt,
daß dieser Mann einst als Sozialdemokrat
von den Nazis verfolgt worden war? Kann der Gedanke,
daß sein späteres Verhalten etwa als
„Identifikation mit dem Aggressor” erklärbar
wäre und er gewissermaßen Gestapomethoden
verinnerlicht hätte, meinen Groll noch
besänftigen? Schwerlich.
Dieser
unser Rektor, der uns einst das wunderschöne ostpreußische
Lied „Es dunkelt schon in der Heide” beibrachte, kam
selber aus Ostpreußen und soll als 89jähriger –
um 1992 –
wieder dorthin zu
seiner Tochter gezogen sein.
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