Nur
zögerlich oder verkappt beteiligen sich andere Schüler an der
Kritik. In Heft 3/63 erzählt ein Anonymus in seiner in
Irland spielende Kurzgeschichte ‚der brief’,
wie der 13jährige Schüler Michael O’Gomery vor einem
‚Blauen Brief’
seines
„Städtischen Jungengymnasiums”(!) flüchtet
und schließlich von der Polizei aufgegriffen wird. Der Brief
habe aber nicht die Nachricht von seiner Nichtversetzung,
sondern „nur die Quittung für einen Täuschungsversuch
und flegelhaftes Benehmen” enthalten. Diese
Erzählung läßt sich als doppelte Travestie lesen, dürfte nämlich
zum einen den im selben ‚Kreisel’-Heft von
unserem neuen Schulsprecher beklagten Vorfall aufgreifen, daß
der Polizei das „flegelhaftes Benehmen” einiger
Schüler unseres Gymnasiums aufgefallen wäre. Und
reflektiert sicherlich zum anderen die Monate zuvor erfolgte
Flucht unserer Mitschüler L. und M., die in
Spanien von der Polizei aufgegriffen wurden und von deren weiterem
Schicksal in 1/64 vermeldet wird: „Der
‚Ausreißversuch’
der Schüler
... (O II) endete mit deren Entlassung von unserer Schule.
Sie besuchen jetzt das Gymnasium in Bottrop”.
Die
von B. Harenberg herausgegebene ‚Chronik 1960’ merkt zu der
damals von den Kultusministern beschlossenen
‚Oberstufenreform’ an:
„Das in dem Reformwerk formulierte Ziel, ‚die Erziehung
des Schülers zu geistiger Selbsttätigkeit und
Verantwortung zu fördern’, ist unter den bundesdeutschen
Pädagogen keineswegs unumstritten”; an manchen Gymnasien
sei die Reform sogar „bis in die 70er Jahre hinein”
verzögert worden (S. 160). Und in einem Beitrag zur
„Nazi-Zeit in den Schulbüchern” ist dort zu lesen: „Noch
immer wird die Zeit zwischen 1933 und 1945 in vielen
Lehrbüchern verharmlosend dargestellt”;
so werden in einem Buch „Hitlers ‚Eingriffe in die geistige
Freiheit’ mit
15 Zeilen, die Judenverfolgung mit acht
beiläufigen Sätzen abgehandelt” (S. 33). Ich
entsinne mich noch lebhaft, wie ich in unserem
Geschichtsbuch auf die folgende Kapitelüberschrift
stoße: „Verfolgung der Juden und der Kirche” (oder gar
umgekehrt); und wie ich meinen katholischen
Sitznachbarn Norbert empört auf die für mich dreiste
Schamlosigkeit hinweise, Opfer und Täter
in einem Atemzug zu nennen. Denn für mich war schon damals
die christliche Kirche selber die historisch
einflußreichste Quelle des Antisemitismus. Auch
schien mir die als „abendländisch” verbrämte
Geistesdressur an unserem Gymnasium
in einer langen christlichen Tradition zu stehen. Wollte
doch der Hauptverantwortliche für das Klima während
meiner Sterkrader Schulzeit 1955-65,
Oberstudiendirektor Dr. L. (geb. 1911),
die „Schülermitverwaltung” nach dem Vorbild seiner
Klosterschule eingerichtet sehen. Ihm
sei deshalb meine letzte Seite gewidmet.
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