Letzte Grundschulzeit; Trennung von Elke und anderen Mitschülern
Wie
Elke so ernst und traurig, mit dunklen Schatten unter den Augen,
herüberblickt und ihre Schultern so vornüberhängen
läßt! Unsäglich hilfsbedürftig kommt sie mir vor,
dann wiederum muß ich sie bewundern, da sie die beste
unserer Klasse und dabei so bescheiden ist.
Habe ich nie versucht, ihr ein Zeichen meiner tiefen
Zuneigung, in die sich Mitleid mischt, zukommen zu
lassen? Seit je verbindet sich auf geheimnisvolle Weise
das Wort „Himmelfahrtsnase” mit ihr.
Ihre Nase dürfte
mich an die ähnlich spitz hochdeutende meiner so früh
verstorbenen Freundin Gitti erinnert haben – an deren
„Himmelfahrt” demnach!
Elke hilft
öfter ihren Eltern in dem kleinen Lebensmittelgeschäft,
in das ich mich gern zum Einkaufen schicken lasse. In seinem
grauen Kittel, einen Kugelschreiber
oder Bleistift in der Brusttasche, steht ihr Vater da, ein schmaler
Mann scharfen Falten in den Wangen. Die Mutter,
klein und rundlich, sitzt meist bei der Kasse. Beide sprechen
leise, nehmen meine Bestellung stumm entgegen und
unterhalten sich auch danach nicht mehr mit mir.
Rechnen sie nicht alles auf einem Zettel zusammen?
Verstohlen schaue ich zu Elke hinüber,
doch scheint sie mich nicht weiter zu beachten! In meiner
Erinnerung ähnelt der Laden einer
Puppenstube, sehe ich doch helle metallene
Schäufelchen für Mehl und dort bei der Kasse Ware in
Säcken, die nach außen hin umgekrempelt sind. Wird
hier noch mit den winzigen Messinggewichten
gewogen? Und sind nicht die Regale an der
Längswand mit Holzschublädchen
ausgestattet?
Auf
drei Gruppenphotos, die ich für die Jahre 1951, 1953/54 und 1959 von
einem Großteil meiner Mitschüler besitze, behält Elke
bei der Aufstellung ungefähr ihre Position
bei. Zur Konfirmation zeigt sie keine Spur mehr von jener
Niedergeschlagenheit und kommt mit ihrem
nun straff zurückgekämmten Haar meinem Erinnerungsbild von
etwa 1960 nahe, als ich sie noch ein letztes Mal beim
Marktplatz-Kino mit dem Fahrrad neben ihrer Freundin
stehen sah; beide schlank, in „Dreiviertelhosen”,
munter und zweifellos selbstbewußt. Wie ich damals zu wissen
glaubte, gingen beide auf das Lyzeum der Nachbarstadt.
Nach
meiner ersten Rückkehr nach Holten notierte ich 1976: „Traue mich
... in den Laden, erblicke den Alten so gut wie unverändert,
auch die kleine rundliche Mutter. Sie verlängern noch
extra die Mittagspause, doch rutscht das Gespräch
immer wieder von der kleinen Elke weg zu irgendwelchen
verwandten Werdegängen; sie scheint vor der mittleren Reife
abgebrochen zu haben, präsentiert wird sie mir auf
einem Hochzeitsphoto (das ich rasch wieder
zurückgebe).”
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